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Sadgirls Lieblingskind

Unser ganz besonderes Kind

Bereits bei der Geburt fiel auf, dass Leon anders ist als andere Kinder. Nach drei Wochen Neo wurde das ganze erstmal als Anpassungsstörung abgetan und unser Kind mit "Mängelkatalog" entlassen. Einige Baustellen regulierten sich schnell von selbst, doch irgendwie wurden wir den Verdacht nicht los, dass da "mehr" nicht stimmt. Leon wurde zum unregelmäßigen Notfallgast in der Uniklinik Freiburg und als er dann ein Jahr lang nahezu nicht wuchs, wurde er dann auf den Kopf gestellt. Beim MRT wurde uns schon klar: wenn die Daten vom Geburtsbericht gecheckt werden, stimmt was nicht. Nach und nach wurden Symptome zu Diagnosen, nur das letztlich dahintersteckende Syndrom kennen wir trotz Trio Exom noch nicht. Dafür haben wir nun etliches an medizinischen Spartenwissen bezogen auf die Erkrankungen unseres Sohnes und kennen uns mit Pflegegrad, Schwerbehindertenausweis, Hilfsmittelanträgen und Widersprüchen aus.

Aktuell wissen wir um folgende Baustellen, die als angeborenes komplexes Fehlbildungssyndrom zusammengefasst werden:

  • Hypophyseninsuffizienz: Leons Hypophyse (Hirnanhangdrüse) ist zu klein und an der falschen Stelle. Medizinisch heißt das ektope Neurohypophyse mit Aplesie des Hypophysenstiels und führt zu Panhypopituitarismus, der Hypophyseninsuffizienz. Die Hypophyse steuert sämtliche Hormonprozesse im Körper. Ohne Hypophyse funktionieren diese ganzen Prozesse nicht mehr. Das Wachstumshormon muss jeden Abend gespritzt werden. Auch die Schilddrüse arbeitet nicht und L-Thyroxin muss komplett ersetzt werden. Die größte Baustelle ist, dass ohne Hypophyse auch das Stresshormon Cortison in der Nebennierenrinde nicht produziert werden kann, da das Starterhormon ACTH dafür fehlt. Deshalb muss alle sechs Stunden Cortison eingenommen werden. Wenn zusätzlicher Stress dazukommt, egal ob durch Freude wie Geburtstag oder Weihnachten, Aufregung im Freizeitpark auf der Achterbahn oder bei Krankheit oder Unfall, muss dies zusätzlich aufgefangen werden. Wird das verpasst, droht eine Addison-Krise, ein lebensbedrohlicher Zustand, der nur durch eine hohe Gabe von 100 mg Hydrocortison beendet werden kann. Inzwischen haben wir es ganz gut im Griff, wann Leon in Alltagssituationen mehr Cortison braucht. Da unvorhergesehene Situationen jedoch jederzeit auftreten können, müssen wir das Notfallset immer dabei haben, auch wenn es nur mal 5 Minuten sind. Leider ist Hydrocortison nämlich auch nicht standardmäßig auf dem Rettungswagen verfügbar und selbst in der Klinik ist es nicht auf allen Stationen vorrätig. Unser Endgegner: Magen-Darm-Infekte. Hier ist einfach nicht mehr sichergestellt, ob und wieviel Cortison im Körper noch ankommt. Deshalb kommen wir da nur ganz selten um die Kinderklinik drumrum. Dankbar sind wir über die Unterstützung durch die Selbsthilfegruppe Eltern mit Kindern/Jugendlichen mit Hypophyseninsuffizienz, bei der ich inzwischen auch im Leitungsteam bin.
  • Asperger-Autismus: Das Asperger-Syndrom gehört zum breiten Feld der Autismusspektrumstörungen. Auch wenn es heißt: kennst du einen Autisten, kennst du einen Autisten, so waren wir uns bereits vor der Diagnosestellung sehr sicher, dass Leon ins Spektrum fällt. Die typischen Inselinteressen fielen uns schon im Kindergarten auf. Handlunsgplanung war für ihn immer eine größere Herausforderung Er hinterfragte viel und war unglaublich clever. Sein Wortschatz und die Art und Weise sich auszudrücken zog oftmals verwunderte Blicke nach sich - und das sind nur einige Beispiele. Im Mai 2021, kurz vor Rehastart bekamen wir es dann auch schwarz auf weiß, dass Leon im Spektrum ist. Einen Einblick in die Denkweise von Autisten gibt es in dem Roman "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone" - sehr zu empfehlen.
  • fokale Epilepsie: Mit den Ergebnissen des ersten MRT kam dann auch der Hinweis, Leon könnte eine Epilepsie haben... und plätzlich erklärten sich die "Abwesenheiten" und das "Nicht-Reagieren" als Abscencen. Die Kurzzeit-EEGs waren immer sauber. Erst das Langzeit-EEG im Frühjahr 2020, zu dem uns bei der ersten Kinderreha in der Klinik Hochried in Murnau dringend geraten wurde, brachte das Ausmaß ans Licht: Leon hatte nachts Anfälle über mehrere Minuten, die von außen nicht sichtbar waren. Er wurde daraufhin noch in der Klinik auf Levetiracetam eingestellt. Seither geht es ihm besser und auch das "Umfall-Vögele", von dem Leon regelmäßig berichtete, konnte sich nicht mehr "aufplustern". Sein "Umfall-Vögele" hatte er tatsächlich an der Stelle gezeigt, die dann auch im EEG den Anfallsherd ausmachte. Bislang wurden unter der Medikamenteneinnahme auch in weiteren Langzeit-EEGs keine größeren Anfälle mehr gesehen. Wir hoffen, der Grand Mal bleibt uns noch lange erspart.
  • globale Entwicklungsstörung: Leon hat eine globale Entwicklungsstörung. Das heißt, es wird nicht mehr davon ausgegangen, dass sich das komplett "verwächst". Er ist vor allem im motorischen Bereich eingeschränkt. Er kann nicht so weit laufen wie andere Kinder, seine Beine tun schnell weh und schlafen ein. Laufen auf unebenen Gelände, Treppensteigen oder auch Klettern verlangt ihm sehr viel mehr Kraft und Konzentration ab. Jeden einzelnen Fortschritt hat er mühsam erlernt durch jahrelange Physio und viel Training. Dank der Spendenaktion "Kinder unterm Regenbogen" hat Leon eine Galileo® Vibrationstrainingsplatte bekommen. Die Übungen darauf helfen ihm Gleichgewicht und Muskelaufbau zu trainieren. Auch im feinmotorischen Bereich hat Leon seine Schwierigkeiten. Die richtige Stifthaltung ist für ihn eine Herausforderung. Malen, Schneiden, Basteln lernt er fleißig in der Ergotherapie. Er ist sehr stolz, dass er die lateinische Ausgangsschrift beherrscht und übt fleißig. Jedoch reicht das Tempo und die Kraft bei weitem nicht aus, um im Grundschulniveau mitzuhalten. In der Schule wird daher aktuell ein iPad eingesetzt. Seine Aussprache hat sich durch Logopädie deutlich verbessert, dennoch ist diese noch immer zu verwaschen um von allen Sprachprogrammen verstanden zu werden. Siri hat da als lernendes System die besten Ergebnisse. Wir sind glücklich, dass Leon kognitiv topfit ist.
  • komplexe Hirnfehlbildung: Beim MRT wurden sehr viele Hirnfehlbildungen entdeckt. Unklar ist, ob Leon eine closed-lip Schizenzephalie hatte, die sich verwachsen hat oder ob das erste MRT da zu unscharf war und dies falsch interpretiert wurde. Zumindest ist diese nicht mehr da. Gesehen wurden jedoch subependymale Heterotopien am linken Unterhorn bis zum Cortex reichend. Da ist also falsche Hirnsubstanz und das kann zu Epilepsie und zu Entwickungsstörungen führen - beides trifft bei Leon ja zu. Außerdem wurden uns noch diverse andere Fehlbildungen berichtet- die Fältelung ist nicht so wie sie sein müsste, die linke und die rechte Hälfte sind nicht identisch, von einem Balkenmangel war die Rede - alles in allem meinte die Neuropädiaterin bei der Auswertung des MRT, dass sie bei dem Bild ein anderes Kind erwartet hätte und Leons Gehirn mega viel kompensiert und sehr wahrscheinlich einige Funktionen von anderen Bereichen übernommen werden als üblich.
  • Z.n. Kawasakisyndrom: Dass Leon das Kawasakisyndrom hatte, hat mit den Hirnfehlbildungen sehr wahrscheinlich gar nichts zu tun. Seit Corona und dem damit verbundenen PIMS ist das Kawasakisyndrom ein bisschen bekannter geworden. Wir sind froh, dass Leon die Klinikzeit überlebt hat. Es war in den zehn Tagen nicht nur einmal sehr knapp. Zuerst weil jede vermutete Diagnose nicht zutraf, dann wurde Kawasaki als Diagnose gegeben und Leon reagierte auf das dringend notwendige Immunglobulin mit einem anaphylaktiischen Schock Grad 3, verlor dabei zum Glück nie das Bewusstsein und konnte wieder stabilisiert werden und letztlich flammte das Kawasaki nochmals auf, sodass unklar war, ob Leons Körper auf das Immunglobulin, dass er trotz Schockreaktion weiterbekommen musste, anspricht. Das Kawasakisyndrom ist eine seltene Immunerkrankung, die vorwiegend bei Kindern, insbesondere bei Jungen bis 5 Jahren auftritt. Die Ursache ist unklar. In der Akutphase wirkt dieses Syndrom wie ein schwerer, hochfieberhafter Infekt. Betroffen können fast alle Organsysteme sein. Für die Langzeitprognose ist jedoch die Erkrankung des Herzens und des Gefäßsystems entscheidend. Leon hatte Glück und keine Herzveränderung davon getragen. Allerdings werden lebenslang Kontrollen des Herzens notwendig sein, da es in seltenen Fällen zu Spätfolgen kommen kann. Das Hauptsymptom des Kawasakisyndrom ist nicht senkbares Fieber über 39°C anhaltend über mehrere Tage. Wenn mindestens zwei der weiteren Symptome hinzukommen, muss die Behandlung mit Immunglobulin gestartet werden, idealerweise innerhalb von zehn Tagen zum Fieberstart, je früher umso besser. Die Symptome sind Rotfärbung von Mundschleimhaut, Zunge und Lippen (Lacklippen und Erdbeer- oder Himbeerzunge), Hautausschlag auf Brust, Bauch, Rücken, Rotfärbung und Anschwellen von Handinnenfläche und Fußsohle, beidseitige Bindehautentzündung(Konjunktivitis) ohne Eiterbildung, geschwollene Lymphknoten.Wenn die Erkrankten nicht alle typischen Symptome zeigen, dann sprechen Ärzte von einem inkompletten oder atypischem Kawasaki-Syndrom. Die Behandlung ist die gleiche und auch die Schädigung des Herzens kann gleichermaßen auftreten.
  • Migräne ohne Aura: Die Diagnose Migräne haben wir dem Umstand zu verdanken, dass Leon während dem Langzeit-EEG einen Migräneanfall hatte. Somit war bewiesen, dass seine Kopfschmerzen, die vor allem bei Wetterumschwung und Sturm auftreten, nichts mit der Epilepsie zu tun haben. Auch wenn da bislang nichts behandelt wird, bin ich froh, dass Leon durch die Diagnose zumindest die Möglichkeit schnell offen steht, Migränemedikamente zu erhalten, wenn Ibuprofen mal nicht mehr ausreicht. Ich musste auf meine Diagnose bis ins Erwachsenenalter warten und weiß wie schrecklich es ist und wie hilflos man sich fühlt, wenn sämtliche Schmerzmittel nichts bringen.
  • heterozygote Sequenzveränderung im FAT3 Gen, unklare Signifikanz: JA, da ist es: das Ergebnis der TRIO Exom. Sowohl Daniel als auch ich haben eine Veränderung auf FAT 3, die sich in Leon doppelt. Was das nun mit den ganzen Symptomen zu tun hat, kann uns aktuell niemand sagen. Und auch das ist ein Grund, weshalb wir uns entschieden haben, die Symptome mal zusammenzuschreiben und öffentlich zu machen, auch wenn wir sonst ja eher zurückhaltend sind, was erkennbare Öffentlichkeit im Internet von unserem Kind angeht. Mit der Einstufung als Variante unklarer Signifikanz wird quasi gesagt, dass man es weder ausschließen kann, dass die Veränderung Grund für die Symptome ist noch ist es erwiesen. Wir befinden uns also im "dazwischen" und die einzige Chance Licht ins Dunkel zu bekommen, wäre eine Person zu finden mit ähnlichen Baustellen - die berühmte Nadel im Heuhaufen. Zumindest existiert Leon wohl in der Datenbank als "Kind 1" und vielleicht findet sich ja irgendwann eine Erklärung und ein Name für das bunte Sammelsurium an "special effects", die unser toller Bub mit sich führt.

    Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s00108-018-0457-7